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Geschichtlicher
Hintergrund

Die I.G. Farben und Zwangsarbeit

Das nationalsozialistische Regime bereitete sich seit 1936 systematisch auf Krieg vor. Als sie 1939 den Krieg begannen, der sich schnell zum Zweiten Weltkrieg entwickelte, stufte das NS-Regime die Niederrheinstandorte der I.G. Farben als „kriegs- und lebenswichtige“ Betriebe der deutschen Wirtschaft ein. In der Folge entschied sich das Unternehmen für die Ausbeutung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern und richtete zudem für den Bau der Buna-Fabrik in Auschwitz-Monowitz ein privat finanziertes Arbeitslager ein. 

 

Nach Kriegsende wurde der Konzern in die vier großen Gründungsfirmen aufgeteilt: Bayer, BASF, Hoechst und Cassella. Die Aufarbeitung der Kollaboration und die Verstrickungen in die nationalsozialistischen Verbrechen erfolgte anfangs durch die Nürnberger Prozesse, den Wollheim-Prozess und die Frankfurter Auschwitz-Prozesse in den 40er, 50er und 60 er Jahren. Erst mit der Beteiligung als Gründungsmitglied der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ bekennt sich Bayer seiner historischen Verantwortung und zahlte in den Fond für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter ein. 

 

Weitere Informationen

Bayer Unternehmens­geschichte

1925-1945
1945-1951

 

Die I.G. Farben und Buna-Monowitz (Fritz Bauer Institut Frankfurt a.M.)

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Zwangsarbeit

Ein Grundpfeiler der Kriegswirtschaft

Zwangsarbeit war in Deutschland und im besetzten Europa während des Zweiten Weltkriegs ein wesentliches Merkmal des Nazi-Regimes, um Macht und Kontrolle zu erhalten. Das Regime nutzte Zwangsarbeit zur systematischen Unterdrückung, als Instrument um Menschen zu bestrafen und um sie zugunsten des Deutschen Reichs und dessen Kriegswirtschaft auszubeuten. Dabei entsprach das System Zwangsarbeit der menschenverachtenden und rassistischen Ideologie der Nationalsozialisten.  

 

Zunächst war die Zwangsarbeit wirtschaftlich von geringer Bedeutung und diente in erster Linie dazu, die Opfer der Nazis zu demütigen und zu degradieren. Mit dem steigenden Bedarf an Arbeitskräften in verschiedenen Branchen (in der Rüstungsindustrie und anderen kriegsrelevanten Sektoren) und dem gleichzeitigen seit Ende 1939 herrschenden, kriegsbedingten Arbeitskräftemangel wurde der Einsatz von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern zum Grundpfeiler der Kriegswirtschaft der Nazis. 1942 war die Zwangsarbeit bereits ein erheblicher Wirtschaftsfaktor. Im September 1944 waren 20 Prozent der Arbeiterinnen und Arbeiter in Deutschland Zwangsarbeiter.

Camp Buschweg

Blick auf die Baracken im Zwangsarbeiterlager Buschweg in Köln-Flittard.     © Bayer AG, Bayer Archiv Leverkusen

„Schlafraum“ im Zwangsarbeitslager Leverkusen

„Schlafraum“ im Zwangsarbeitslager Leverkusen. ©  Bayer AG, Bayer Archiv Leverkusen

Hierarchien in der Zwangsarbeit

Herkunft entschied über das Maß der Unmenschlichkeit

Während des Zweiten Weltkriegs kamen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus verschiedenen besetzen Ländern bei der I.G. Farben zum Einsatz. Die Ideologie der Nazis gab eine rassistische Hierarchie zur Behandlung der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter vor. Dies wurde durch bestehende Vorurteile innerhalb der deutschen Bevölkerung verschärft, was zu zusätzlichen Beleidigungen, Denunzierungen und einer schlechten Behandlung der Menschen führte, je nachdem, woher sie stammten. Am schlimmsten war das Schicksal der Gefangenen im Konzentrationslager, die zur „Vernichtung durch Arbeit“ verurteilt waren. 

Alle Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter wurden kontinuierlich von einem ausgeklügelten System von Rassismus und bürokratischer Unterdrückung durch die Wehrmacht, das Arbeitsbüro, die Werkssicherheit, die Polizei und die SS überwacht. Sie wurden in Baracken, Gasthäuser, Schulen oder Bankettsäle unter menschenunwürdigen Umständen untergebracht. Im Lager und den Werkskantinen wurden sie mangelhaft ernährt. In dem seltenen Fall, dass ihnen ein geringer Lohn gezahlt wurde, konnten sie sich keine Nahrungsmittel kaufen und litten ständig Hunger. Zwischen den langen Schichten (häufig länger als zwölf Stunden) und nach der zusätzlichen Arbeit, die manche Menschen verrichten mussten, bemühten sich die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in der wenigen verbliebenen Zeit, ihr Überleben zu sichern, indem sie versuchten, auf dem Schwarzmarkt Brot zu kaufen, oder im Tausch gegen Lebensmittel Dienstleistungen anzubieten.

Zwangsarbeit bei der I.G. Farben

Profit aus Enteignung und Ausbeutung

Gemeinsam mit BASF, Hoechst, Agfa, Chemische Fabrik Griesheim-Elektron und Chemische Fabrik vorm. Weiler-ter Meer waren die Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co. 1925 Gründungsmitglied der I.G. Farben. Während des Zweiten Weltkriegs war das deutsche Konglomerat von Pharma- und Chemieunternehmen an Kriegsverbrechen beteiligt, kooperierte mit den Nationalsozialisten und profitierte von Enteignung, Ausbeutung und Zwangsarbeit. Als wichtiger Hersteller und Lieferant synthetischer Materialien war die I.G. Farben für die Kriegswirtschaft der Nazis von Bedeutung.

 

Durch den Krieg mussten Tausende deutscher Arbeiter den Wehrdienst antreten; andere bei der I.G. Farben (freiwillig) beschäftigte Arbeitnehmende wechselten in die Rüstungsindustrie. Nach und nach sah sich die I.G. Farben einem Mangel deutscher Arbeitskräfte konfrontiert. Die Chance auf billige Arbeitskräfte kam daher gelegen – für den Erhalt und den Ausbau der Produktion setzte die I.G. Farben innerhalb ihrer Niederrheinstandorte ab 1940 zunehmend Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus den besetzten Ländern Europas ein.

 

Zeitweise machten diese Arbeitenden bis zu einem Drittel der Belegschaft aus – rund 16.000 Menschen wurden während des Krieges an den Niederrheinstandorten eingesetzt. Sie kamen hauptsächlich aus Polen, der Ukraine und anderen osteuropäischen Ländern und waren zwischen 14 und 50 Jahre alt. Einen bedeutenden Teil machten zudem Personen aus West- und Nordeuropa aus, darunter Menschen aus Frankreich, Belgien, den Niederlanden, Spanien und Dänemark. Es gab keinen Betrieb der I.G. Farben in Leverkusen, der im Laufe des Kriegs nicht zwischenzeitlich von Zwangsarbeit profitiert hatte.

"Kantine" in der Baracke des Zwangsarbeiterlagers Buschweg in Köln-Flittard

"Kantine" in der Baracke des Zwangsarbeiterlagers Buschweg in Köln-Flittard. © Bayer AG, Bayer-Archiv Leverkusen

Küche im Zwangsarbeitslager Leverkusen

Küche im Zwangsarbeitslager Leverkusen. © Bayer AG, Bayer Archiv Leverkusen

Lager Buschweg

Blick auf die Baracken im Zwangsarbeiterlager Buschweg in Köln-Flittard, Deutschland. © Bayer AG, Bayer-Archiv Leverkusen

Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter im Lager Leverkusen bei der Gartenarbeit.

Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter im Lager Leverkusen bei der Gartenarbeit. Im Hintergrund: die Verwaltungsbaracke, 1943. © Bayer AG, Bayer-Archiv Leverkusen

Wie die Zwangsarbeiter an die Niederrheinstandorte kamen – Beispiel Leverkusen

Die Gesetze der Nazis verlangten eine strikte Trennung

 

In den meisten Fällen wurden die Menschen zunächst nach Westdeutschland gebracht. Nach dem teilweise tagelangen Transport kamen sie in Köln an. Hier durften sich Vertreter der I.G. Farben die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aussuchen, die sie „haben“ wollten. Danach wurden sie nach Leverkusen gebracht.

 

Nach der Ankunft folgte ein Prozess, der mitunter mehrere Tage dauern konnte: Zunächst wurden die Männer und Frauen desinfiziert – eine Prozedur, die viele als angsteinflößend in Erinnerung haben. Danach kam eine medizinische Untersuchung, die vor allem von den Zwangsarbeiterinnen aufgrund der möglichen sexuellen Übergriffe durch die anwesenden Soldaten gefürchtet wurde. Es folgten die Registrierung bei der Polizei anhand von Fingerabdrücken und Fotos sowie eine Verhaltenseinweisung. Als letzten Schritt mussten die Menschen eine Vereinbarung unterzeichnen, die fälschlicherweise bestätigte, dass sie aus freien Stücken nach Leverkusen gekommen waren.

 

Die Gesetze des Nazi-Regimes schrieben eine strikte Trennung der deutschen und ausländischen Arbeiterinnen und Arbeiter vor. Dies wurde noch strenger gehandhabt, wenn es um die Unterbringung oder die Kleidung ging. Innerhalb der ausländischen Menschen unterschieden sich die Bedingungen aufgrund ihres Herkunftslandes sehr. Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus westlichen Ländern durften private Unterkünfte anmieten. Osteuropäische Arbeitskräfte durften hingegen nur unter ständiger Überwachung in den Gemeinschaftsunterkünften leben. Die Lebensmittelversorgung lief zentral, während „höhergestellte“ Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter Lebensmittelmarken erhielten. In den letzten Kriegsjahren waren alle Werke der I.G. Farben von Lagern umgeben, die in unterschiedliche Bereiche für verschiedene Arbeitende unterteilt waren. Im Februar 1943 lebte rund die Hälfte der Belegschaft in solchen Lagern.

Ein Tag im Leben der Zwangsarbeiter an den Niederrheinstandorten

Basierend auf der Studie von Valentina Maria Stefanski: „Zwangsarbeit in Leverkusen. Polnische Jugendliche im I.G. Farbenwerk“

 

Die Frauen und Männer wurden sehr früh am Morgen, je nach Jahreszeit zwischen 4 und 6 Uhr, geweckt. Sie hatten dann Zeit, sich fertig zu machen, durften manchmal duschen, machten ihr Bett und frühstückten. Im Anschluss wurden sie von den Unterkünften ins Werk gebracht. Sie durften hier nur einen bestimmten Eingang benutzen, um den Kontakt mit der deutschen Belegschaft zu minimieren. Nach der Identifikation durch den Fabrik-Ausweis begann die Arbeit.

Personalkarte

Personalkarte einer Frau, die im Werk Elberfeld der I.G. Farben eingesetzt war. © Bayer AG, Bayer Archiv Leverkusen

Während der Arbeit waren sie ständiger Überwachung und Druck ausgesetzt. Die Mehrheit sprach und verstand kein Deutsch. Sie wurden ohne Einweisung oder Anleitung an ihren Einsatzort gebracht und mussten tun, was man ihnen sagte – auch wenn sie nichts verstanden und nicht wussten, was sie tun sollten. Sprachbarrieren auf beiden Seiten führten zu einem harten und teilweise gewalttätigen sozialen Umgang.

 

Wurde die Arbeitsdisziplin nicht eingehalten, beispielsweise durch Pausen, Verletzungen, schlechte Ergebnisse oder Vertragsverletzungen, wurden die Männer und Frauen bestraft. Manchmal wurde die gesamte Gruppe für den Fehler einer einzelnen Person bestraft [S. 246]. Zu den Strafen zählten Bußgeldzahlungen [S. 233], körperliche Züchtigung, Einweisung ins Straflager, zusätzliche Arbeit oder Nahrungsentzug.

 

Die Mittagspause war kurz und durfte nicht zur Unterbrechung der Produktion führen [S. 180]. Strenge Regeln sahen eine Trennung der deutschen und nicht-deutschen Menschen vor. Einige bekamen in der Kantine Mittagessen, andere am Arbeitsplatz. Wiederum andere hatten nur nach ihrer Schicht Zeit, etwas zu essen. Zur Qualität der Verpflegung gibt es widersprüchliche Berichte. Sicher ist aber, dass sich die Versorgung nach und nach verschlechterte und von der Art der Arbeit abhing. Teilweise wurde Nahrungsentzug als Methode genutzt, um die Individuen unter Druck zu setzen und sie dazu anzutreiben, noch härter zu arbeiten [S. 187].

Im Laufe des Tages fanden willkürliche Inspektionen statt. Es wurde regelmäßig überprüft, ob die Frauen und Männer Ordnung in ihren Schränken hielten, ob sie dort Essen oder Lebensmittelmarken oder andere Dinge, die sie aus dem Werk mitgenommen haben könnten, versteckten [S. 237] – was in diesem Fall konfisziert wurde. Manchmal bekamen sie Post oder Pakete von ihren Familien, die ebenfalls überprüft und wenn überhaupt mit Verspätung ausgehändigt wurden, sodass darin enthaltene Lebensmittel oft schon verdorben waren [S. 245].

 

Nach der Arbeit prägten Verbote das Leben der Menschen. Vor allem nachts verbot eine Sperrstunde das Verlassen der Unterkünfte, was die Möglichkeiten der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter erheblich einschränkte. Einige verrichteten im Austausch für Lebensmittel zusätzliche Arbeit. Andere kehrten einfach in ihre Baracken zurück. Ab und zu erkannte die Lagerleitung Aktivitäten in der Freizeit als Möglichkeit der besseren Erholung, was wiederum die Effizienz steigerte. Ausländische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter gründeten Musik- und Gesangsgruppen. Manchmal wurden Filme gezeigt. Die Lagerleitung nutzte diese Veranstaltungen zur Propaganda.

Übersicht über die Baustelle des Buna-Synthesewerks im I.G. Werk Auschwitz-Monowitz

Übersicht über die Baustelle des Buna-Synthesewerks im I.G. Werk Auschwitz-Monowitz, um 1943/44. © Frankfurt am Main, Fritz Bauer Institut

Die I.G. Farben und das KZ Buna-Monowitz

Das unternehmenseigene Konzentrationslager

Ab 1941 ließ die I.G. Farben in unmittelbarer Nähe zum Konzentrationslager Auschwitz eine chemische Fabrik zur Produktion von Buna errichten, einem für die Kriegswirtschaft wichtigen synthetischen Kautschuk. Neben deutschen Fachkräften setzte das Unternehmen für den Bau der Anlage tausende Häftlinge aus dem Konzentrationslager Auschwitz ein. Dazu kamen Kriegsgefangene und Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter aus ganz Europa. Um die Arbeitskräfte auf der damals größten Baustelle des Deutschen Reiches unterzubringen, errichtete die I.G. Farben ab 1942 in Zusammenarbeit mit der SS das firmeneigene Konzentrationslager Buna-Monowitz. Durch die unmenschlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen kamen dort viele Menschen zu Tode oder wurden in den nahegelegenen Gaskammern in Auschwitz-Birkenau ermordet, sobald sie nicht mehr arbeitsfähig waren. Die Lebenserwartung der Insassen lag bei weniger als vier Monaten, und über 25.000 Menschen starben allein auf der Baustelle.