Original picture from the Bayer archives of Dr Hans Finkelstein conversing with colleagues in a laboratory at the Uerdingen site of I.G. Farben, recorded in 1932.

Dr. Hans Finkelstein

Ausschluss eines jüdischen Mitarbeiters bei der I.G. Farben

Hans Finkelstein wurde 1885 in eine Familie von Chemikern geboren. Nach seinem Schulabschluss studierte er Chemie in Leipzig und Dresden. Von 1906 bis 1909 schrieb er in Straßburg bei Friedrich Karl Johannes Thiele, einem deutschen Chemiker und Hochschullehrer, seine Doktorarbeit. Danach arbeitete er als Professor Thieles Assistent. Im Rahmen seiner Doktorarbeit entwickelte er die "Finkelstein-Reaktion", die bis heute anerkannt ist und tausendfach zitiert wurde.

Dr. Hans Finkelstein

Dr. Hans Finkelstein als Kind. Foto: Mit freundlicher Genehmigung der Familie

Die Finkelstein Reaktion

Die Finkelstein Reaktion

Ein unverzichtbares Werkzeug in der präparativen organischen Chemie

Die Finkelstein-Reaktion von Dr. Hans Finkelstein wurde erstmals 1910 in einem Artikel beschrieben. Bei der klassischen Reaktion wird Chlor oder Brom gegen Jod an Kohlenwasserstoffen ausgetauscht. Sie ist eine effiziente Methode zur Synthese von Jodverbindungen, die aufgrund der geringen Reaktivität von Jod nicht direkt zugänglich sind. Jodierte organische Verbindungen werden zum Beispiel als Kontrastmittel bei radiologischen Untersuchungen verwendet und spielen eine Rolle als Bausteine bei der Synthese chemischer Moleküle. Die Reaktion wurde nach dem Tod von Finkelstein entscheidend weiterentwickelt, was ihre Bedeutung unterstreicht. Sie wurde zu einem unverzichtbaren Werkzeug in der präparativen organischen Chemie und ist auch heute noch fester Bestandteil der Lehrpläne an Schulen und Universitäten im Bereich der organischen Chemie. Sie wird in der chemischen Industrie, unter anderem bei der Bayer AG, und in den Bereichen Pharmazeutika, Landwirtschaft (Fungizide und Insektizide), Farbstoffe und Flüssigkristalle eingesetzt.

Diskriminierung und Verdrängung

Dr. Hans Finkelstein stammt aus einer liberalen jüdischen Familie

Nach seiner akademischen Laufbahn trat Finkelstein 1911 als junger Wissenschaftler eine Stelle in der Forschungsabteilung der Chemischen Fabriken vorm. Weiler-ter Meer in Uerdingen an. Wie die “Farbenfabriken vorm. Friedr. Bayer & Co.” mit ihren Standorten in Leverkusen, Elberfeld und Dormagen, wurde das Unternehmen 1925 Teil der neu gegründeten I.G. Farbenindustrie AG. Nach seinem Eintritt in das Unternehmen wurde Finkelstein mit der Leitung des wissenschaftlichen Labors betraut und zum Prokuristen ernannt.

 

Die Biografie von Dr. Hans Finkelstein steht stellvertretend für das Schicksal von Menschen mit jüdischem Hintergrund oder mit jüdischer Religionszugehörigkeit. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten und den Nürnberger Rassengesetzen wurde er als „Jude“ und „Nichtarier“ definiert. Finkelstein stammte aus einer liberalen jüdischen Familie und konvertierte im Alter von zehn Jahren zum Protestantismus. Trotzdem, und nachdem er bereits Diskriminierung erfahren hatte, wurde er 1938 gezwungen, das Unternehmen zu verlassen und musste seinen Reisepass abgeben. Verbittert und zutiefst desillusioniert nahm er sich am 30. Dezember 1938 das Leben, indem er sich selbst vergiftete. Mit seiner Ehefrau Annemarie hatte er drei Kinder: Eva (*1919), Klaus-Peter (*1913) und Berthold (*1925). Sein Sohn Berthold musste als "Halbjude" in seiner ehemaligen Firma als Zwangsarbeiter arbeiten.
 

Das Haus der Familie Finkelstein in Uerdingen heute.

Das Haus der Familie Finkelstein in Uerdingen heute. © Rüdiger Borstel